29.10.2019
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Der Vorstand der DGKH prüft in regelmäßigen Abständen die Situation der Krankenhaushygiene in Deutschland und erstellt in Abhängigkeit der Risikosituation grundsätzliche Forderungen, die der Verbesserung der Krankenhaushygiene und der Risikoregulierung dienen.
Nachfolgend wird diese Forderung begründet:
Bei den invasiven S. aureus Infektionen handelt es sich zu über 97% um primäre (Eintritt des Erregers in der Regel über Gefäßkatheter) oder sekundäre (Eintritt über eine Organinfektion oder bei unbekanntem Focus) Blutstrominfektionen mit positivem Nachweis von S. aureus in Blutkulturen (S. aureus Bakteriämie (SAB)). Bei ca. 2% handelt es sich um ZNS-Infektionen mit dem Nachweis von S. aureus im Liquor.
Blutstrominfektionen (BSI) durch S. aureus spielen eine große Rolle im klinischen Alltag, sie zählen mit zu den schwersten Infektionen und sind durch eine hohe Morbidität und eine Letalität gekennzeichnet, die je nach Studie zwischen ca. 15% und 30% liegt. In großen unselektierten Kohorten findet sich eine 90 Tage-Sterblichkeit von 29%(1).
Aus den Daten der MRSA-Meldepflicht lassen sich Rückschlüsse auf die Häufigkeit der invasiven Infektionen mit Methicillin sensiblem S. aureus (MSSA) und damit auf die Gesamtzahl ziehen.
Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) wurden im Jahr 2017 2785 invasive Infektionen durch MRSA gemeldet ((2), davon waren 35 MRSA-Nachweise im Liquor, von denen gleichzeitig 10 eine positive Blutkultur hatten. Entsprechend lag die Gesamtzahl der gemeldeten MRSA-Blutstrominfektionen bei 2760. Die Zahlen sind seit Jahren in Folge der intensiven Screening-, Eradikations- und Hygienestrategien rückläufig (2).
Die Rate von MRSA an allen SAB im stationären Bereich betrug 2017 9,4%. Für nicht-invasive Staph. aureus-Infektionen im ambulanten Bereich lag die MRSA-Rate 2017 bei 7,5% (Robert Koch-Institut: ARS, https://ars.rki.de, Datenstand: 14.02.2019).
Hochgerechnet kann man damit von mindestens 30.000 stationären SAB-Fällen pro Jahr ausgehen, wobei hier eine Unterschätzung anzunehmen ist, da die Anzahl von der Rate der Blutkulturentnahmen abhängt, die in Deutschland im europäischen Vergleich eher niedrig ist. Aus Daten von systematischen Fallreviews, die 2017 in den ABS-Kursen der DGKH präsentiert wurden, kann eine durchschnittliche Anzahl von 8 – 10 SAB pro 100 Betten pro Jahr als realistische Schätzung angenommen werden. Dies würde einer jährlichen Gesamtzahl von 40. – 50.000 SAB bedeuten (Walger, persönliche Mitteilung).
Ein großer Teil dieser Infektionen kann durch geeignete Präventionsmaßnahmen gemäß KRINKO-Empfehlung von 2017 (3, 4) verhindert werden. Nach Angaben des RKI sind 29% der SAB mit intravaskulären Kathetern assoziiert (2) und damit durch ein optimales Hygienemanagement bei Anlage und täglichem Umgang prinzipiell vermeidbar.
Ausgehend von mindestens 30.000 SAB-Fällen und einer durchschnittlichen Letalität von 25% kann man in Deutschland mit 7.500 jährlichen Todesfällen allein durch diese Erkrankung rechnen. Zum Vergleich: Die Zahl der Toten durch multiresistente Erreger in Deutschland wird auf fast 2400 pro Jahr geschätzt.(5).
Von den SAB-assoziierten Todesfällen wäre der Anteil, der im Kontext eines Gefäßzuganges (peripherer oder zentraler Venenzugang) verursacht wurde, prinzipiell zu verhindern. Da die Letalität der Gefäßkatheter-assoziierten SAB mit 10 – 15% niedriger ist im Vergleich zu den anderen Ursachen, vorausgesetzt, dass der Gefäßkatheter nach dem ersten Fieber sofort entfernt wurde, sind ca. 1000 – 1500 Todesfälle allein durch optimale Hygienemaßnahmen zu verhindern. Hinzukommen weitere verhütbare Todesfälle, wenn eine Konsultation durch Infektiologen erfolgen würde.
In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass das Überleben der Patienten um 40% bis 50% verbessert werden kann, wenn Infektiologen in die Behandlung mit einbezogen werden (6).
Die 25%-Letalität kann demnach durch Einbeziehung von Infektiologen auf ca. 12,5 - 15% gesenkt werden, was einer Reduktion um 3000 - 3750 Sterbefälle bedeuten würde. Das bessere Überleben mit infektiologischem Konsil resultiert vor allem daraus, dass dann häufiger eine adäquate intravenöse Therapie ausreichend lange erfolgt und verborgene Infektionsherde durch geeignete Untersuchungen aufgespürt werden (7).
Wie hoch das Potential der Optimierung des Infektionsmanagements von SAB an deutschen Kliniken ist, zeigen eindrucksvoll die oben zitierten systematischen Fallreviews aus den ABS-Kursen der DGKH 2017, in denen kumulativ bei 986 Episoden einer SAB aus 16 Kliniken mit ca. 11.000 Betten gezeigt werden konnte, dass nur ca. 30% aller Patienten adäquat behandelt wurden. Die Letalität betrug ca. 33% (Walger, persönliche Mitteilung).
Zählt man die Effekte der Letalitätsreduktion zusammen, die durch optimales Hygiene- und Infektionsmanagement erzielt werden könnte, ergibt sich eine Zahl von 3000 – 4000 verhütbarer Todesfällen.
Diese Forderung wird durch aktuelle Arbeiten mitbegründet, die zeigen, dass der fallende Trend von invasiven MRSA Infektionen nicht begleitet wird durch einen vergleichbaren Rückgang der invasiven Blutstrominfektionen durch Methicillin sensible Staphylococcus aureus ( MSSA ) (8-11). Die Beschränkung der Meldepflicht auf MRSA bedeutet, dass ein großes Präventionspotential nicht ausgeschöpft wird (12).
Von einer systematischen Erfassung aller SAB in Deutschland durch eine Meldepflicht in Verbindung mit einer transparenten Datenauswertung kann demnach erwartet werden, dass hierdurch ein wichtiger Beitrag zu einer signifikanten Reduktion potentiell verhütbarer Todesfälle durch eine optimierte Qualität des Hygiene- und Infektionsmanagement bei invasiven S. aureus Infektionen geleistet werden kann.
Hieraus begründet sich die Forderung nach einer Erweiterung der Meldepflicht für alle invasiven S. aureus Infektionen.
Die Meldezahlen sollten wie bei MRSA Blutstrominfektionen im Epidemiologischen Bulletin und im infektionsepidemiologischen Jahrbuch meldepflichtiger Erkrankungen veröffentlicht werden.